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Marco Morelli – Aktmodell

Seit ich 20 Jahre alt bin posiere ich in diversen Zeichnungs- und Malkursen als Modell. Vorwiegend für Akt und gelegentlich für Portrait oder figürlich.

Ich komme selber auch ein wenig vom Grafischen her, habe ich doch mal Fotolithograph erlernt und vor allem in jüngeren Jahren auch selber vermehrt auf Papier gestaltet. Zudem habe ich mutterseits einen Grossonkel, der Künstler Ernst Ruprecht aus Laupen. Ich habe ihn zwar nie kennengelernt, weil er relativ früh verstorben ist, aber in unserem Restaurant gabs viele Arbeiten von Ruprecht, in der Gaststube und überall im Haus. Aquarelle, Lithos, Zeichnungen, Linoldrucke, Stiche, Entwürfe usw. Grössere Oelbilder zierten das damalige Amtsgericht und hangen noch heute in der Gemeindeverwaltung von Laupen. Zudem hat er im alten Schulhaus Wandmalereien gefertigt, Brunnenfiguren entworfen, die Holzmasken vom Silvesterbrauch «Achetringele» desingt, Illustrationen etc. gemacht und vor allem mit den Plakaten für die damaligen internationalen Motorrad- und Autorennen von Bern weit über die Kantonsgrenze hinaus Bekanntheit erlangt. Ich bin sozusagen ein wenig um bildende Kunst herum aufgewachsen.

Als ich nach der Lehre, als zwanzigjähriger in die Stadt zog und mich für dieses Künstler-Komödianten-Freak-Leben entschied, habe ich bald mal gemerkt, dass Aktmodell auch eine Verdienstquelle sein kann. Als Junggeselle war’s gutes Giletgeld, jetzt ist es nur noch Giletgeld und ich mach’s immer noch – weil ich’s gerne mache und weil Giletgeld auch Geld ist.

Früher hies es mal Kunstgewerbeschule, später Schule für Gestaltung und dann kam noch die Hochschule dazu. So habe ich an dieser Ausbildungsstätte mehrere Umbrüche erlebt (nicht nur zum Guten) und altershalber auch ein paar namhafte Lehrer überlebt.
Vor den ganzen Ausbildungs-Umbrüchen hatten die Zeichnungslehrer-Seminaristen, die Grafikfachklässler und die Vorkürsler mehrere Semester Akt schier als Pflichtfach. Heute besuchen sie Module. Offenbar hat Akt nicht mehr die Bedeutung wie auch schon. Schade!

Die Freikurse sind in all den Jahren unterschiedlich gut besucht, vielleicht manchmal mehr oder eben weniger en Vogue. Interessant ist aber, dass es vermehrt freie Gruppen gibt, die Räume organisieren und Modelle engagieren. Zum Teil auch junge Grafiker, die ihren Alltag ja vorwiegend am Mac verbringen, wollen plötzlich wieder am lebenden Modell üben und kreieren.

Füdleblutt vor ganzen Klassen posieren muss was exhibitionistisches haben. (Hätte ich nichts exhibitionistisches, wäre ich, wie einst vorgesehen, vielleicht Grafiker und nicht Entertainer geworden.) So gesehen könnte man aber die Zeichner als Voyeure bezeichnen. (Exhibitionist oder Voyeur, Morphinist oder Blaukreuzler – mir ist es egal, jedem das seine.)
In jungen Jahren aber  war es schon auch ein Bedürfnis, mich nackt zu zeigen – etwas zu machen, dass offenbar viele nicht können. (andere gingen Leichen waschen und das kann auch nicht jeder) Ich meine das nicht wertend und ich bin sexuell nicht befreiter als andere, nur weil ich fürs posieren keine Hemmungen habe. Ich habe es einfach genossen, dass die mich anschauen mussten und ich konnte über die Blickkontakte Macht ausüben, konnte irritieren und ihnen länger in die Augen schauen, als sie mir. Ich zwar nackt und verletzlich, sie angezogen und geschützt und notabene alles im Kontext mit der gängigen Moral, Scham und normalen Hemmungen. (Gottlob haben wir Menschen Schamgefühle, sonst wären wir ja Affen) Aber eben, ich immer irgendwie dominant und am Schluss gabs noch Geld. Wunderbar. Und die hängen mich dann zum Teil noch gerahmt auf, super – ein Narziss halt.

Nie aber war es für mich irgend eine Form von esoterischer Selbsterfahrung. Nein, Gott verschon mich. Geldverdienst, Vergnügen und gestalten, dass war der Antrieb. Es war immer, wie Hörspiele sprechen, ein Nebengeleis meiner Theatertätigkeit. Mein komödiantisches, artistisches und dramaturgisches Flair kommt mir bestimmt zu Gute. So habe ich natürlich Spass an Kursen mit vielen kurzen Posen. Es ist zwar nicht Ausdruckstanz, weil’s eben einzelne Stellungen sind. Als Mime kann ich aber mit verschiedenen Posen eine grosse Bandbreite fahren, kann mit meinem Körper still, laut, schüchtern, komisch, frech, skuril, artistisch und vieles mehr sein und im Gesicht bin ich immer irgendwie neutral oder zumindest dezent. Es geht ja auch nicht um Portrait und Gesichtsmimik – nein, die Zeichner, Maler, Plastiker und Schüler sollen sich an meinem ganzkörperlichen Ausdruck üben, an Proportionen, an der muskulären Plastizität, am Knochengestell, überdies an verschiedenen Techniken inklusive Bildgestaltung, je nach Kurs und Lehrer.

Es gab eine Zeit, da war an der Schule genügend Modellgeld vorhanden, so dass man zuweilen auch zu zweit stehen konnte. Ich bin mit verschiedenen Frauen und Männer gestanden und das hat auch immer Spass gemacht. Zu zweit öffnen sich noch mehr Ausdrucksmöglichkeiten, von zärtlicher Umarmung bis hin zum abstrakten Körperhaufen, es kommt eine Dimension mehr dazu: Das Du.

Mich interessiert was ich stehe, darum interessiert mich auch was die anderen auf’s Papier bringen. In den Malklassen gehts manchmal frei und wild zu, so dass ich das Gefühl habe, dass es mich eigentlich gar nicht braucht. Das stimmt natürlich nicht, denn meine Expression beeinflust alleweil auch ihr schaffen. Aber ich stehe schon gerne bei Zeichner und Illustratoren, respektive liebe diese Techniken. Nein, habe selbverständlich auch Arbeiten mit Pinsel und Farbe gerne.

Was wurde ich in all diesen Jahren von irgendwelchen Männer immer wieder gefragt, ob ich da nie einen steiffen Schwanz bekomme? Nein, auch zu zweit nicht.
Gut, in jungen Jahren musste ich mich manchmal ablenken, denn der Blick vom Podest herunter beschert zuweilen manch einladende Decoltées – und die Zeit – und die Fantasie – jessesgott, hätte ich mich geschämt, heute wärs mir egal. Nein Spass beiseite, ich bin Aktmodell und nicht Pornodarsteller. Als Pornodarsteller wäre ich zwar auch Schauspieler und Gestalter, würde Viagra schlucken und vorallem besser verdienen – eh ja, vielleicht im nächsten Leben…

Ich will als Modell interessant sein, fordere mich zuweilen physisch arg heraus und manchmal ist es richtiggehende Knochenarbeit. Mit zunehmendem Alter muss ich jedoch akzeptieren, dass ich über den Zenith bin und meinem Körper längst nicht mehr das zumuten kann wie einst im Mai. Ich habe kein ästhetisches Psychoproblem und frage mich trotzdem plötzlich, ob ich den alten Sack noch lange zur Schau stellen will, aber warum eigentlich nicht?

Ich hatte nie spezielle Rituale, wie zB. mich in der Garderobe ausziehen, mich in den Bademantel stürzen, mich vor den Anwesenden entblössen und dann heilig und fantasielos posieren. Nein, für mich ist es halt wie auf die Baustelle, oder in die Werkstätte gehen: Alltagskleider ab – Adamskostüm an und schaffen – fertig schluss! Ueberdies Genuss am Darstellen und Freude an guten, interessanten Arbeiten.

Manchmal setzte ich Requisiten ein, Kasperlifiguren, Kleidungsstücke, Schwimmflossen usw. Diese Accessoires sollen zwar nicht dominieren, schliesslich gehts um Akt, können aber sehr wohl Posen interessant machen  und eine spezielle Spannung, Witz oder Inhalt erzeugen – zB. nackter Mann mit Teddybär…theäterlen halt.

Posieren hat mitgeholfen, mir mein Körperbewusstsein zu schulen. Bei schwierigen, mehrminütigen Stellungen gelingt mir manchmal, einen gestressten Muskel zu entlasten dafür einen anderen mehr zu beschäftigen. Muskelarbeit umverteilen, ohne dass sich dabei die Expression verändert. Oder wie beim Yoga die Atmung bewusst einsetzen, auf dass ich die Position über die gewünschte Zeit noch halten kann.

Oft überlege ich mir während einer Pose was ich als nächstes mache. Ueber all die Jahren haben sich halt auch Standards ergeben, die ich immer wieder mal aus dem Repertoir abrufe. Manchmal lass ich mich treiben und es entstehen neue Sachen, oder die Zeichner / Lehrer haben Wünsche, didaktische wie zB. Standbein – Spielbein, Verkürzungen usw. Aber eigentlich bin ich frei und kann machen was mich gelüstet.

Aktkurse haben manchmal  trotz Gruppen-Werkstatt-Stimmung etwas erotisches. Ein einziges mal bin ich in dieser langen Tätigkeit, gleich eine halbe Stunde nach Kursende mit einer jungen Frau, offenbar von der Ambiente angetörnt, in ihrem Bett gelandet. Ein einziges mal und das ist lange her – und sowieso zu wenig…

Oft bin ich ein wenig bekifft. Das passt zur Ruhe, zum schier meditativen. Einmal aber, habe ich aus einer unbedachten Laune heraus, um Mitternacht einen LSD-Trip geschluckt und erst danach gemerkt, dass ich, verdammt noch mal, frühmorgens um 8 Uhr einen Termin habe. Das war dann buchstäblich der nackte Wahnsinn. 4 Lektionen lang einminütige Stellungen und ich immer noch voll auf Trip. Es hatte zwar niemand etwas bemerkt, ich aber bewegte mich am körperlichen Limit und vorallem am totalen seelischen Abgrund.

Einmal hat ein junger Schüler sich dauernd über Pickel an meinem Hintern lustig gemacht, offenbar wollte er sich bei seiner Nachbarin interessant machen. Als es mir zu bunt wurde, habe ich gesagt, dass entweder er oder ich den Saal verlasse. Dass er gehen musste war klar und Jahre danach hat er sich bei mir entschuldigt. Ein, zweimal war ich aber auch eitel genug, mir am jungen Arsch Pickel zu überschminken.

Ein Lehrer hat mich mal gefragt, ob ich im gleich anschliessenden Kurs bereit wäre, mit Herr X zusammen noch eine halbe Stunde lang zu zweit zu stehen. Ich sagte zu und Herr X war auch einverstanden. Herr X war ein älterer, schlaksiger Mann, war früher mal Ballett-Tänzer, später Vertreter und dann hat er sich buchstäblich zwischen München, Paris und Mailand Modell-Termine an Schulen und Akademien aufgebaut. So war er ständig mit dem Zug und ein paar Habseligkeiten in Plastiksäcken unterwegs. Eine Erscheinung wie ein Clochard und so hat der auch gestunken, grauenhaft und abgefackt. Erst hat er ein paar Stellungen alleine gemacht, so klassisch-griechische Posen wie der Speerwerfer, der Diskuswerfer usw. An sowas hatte ich kein Interesse und als ich dazu stiess, habe ich ihn gleich innig und fest umarmt. Er war überrascht, hat sich ein wenig dagegen gestemmt und schlussendlich mitgemacht und das war alleweil interessant: Ein junger Körper und ein alter Körper – und ich habe eine halbe Stunde lang durch den Mund geatmet und ging mich anschliessend duschen. Was man nicht alles so macht für die Kunst…

Alles in allem: Akt zeichnen, malen oder modellieren ist absolut sinnlichstes Gestalten und schult das Auge.

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